Chem-Talk über Digitalisierung und Messtechnik von Vega in der Chemieproduktion

Stefan Kaspar, International Product Manager bei Vega Grieshaber, im Gespräch

Stefan Kaspar, Internation Product Manager bei Vega Grieshaber

Digitalisierung ist ein geflügeltes Wort in der Industrie. Sie verspricht, Prozesse effizienter zu gestalten. Messtechnik spielt dabei eine wichtige Rolle. An konkreten Beispielen erklärt Stefan Kaspar von Vega Grieshaber im exklusiven Interview, wie mit digitalen Lösungen die Dokumentation massiv vereinfacht wird. So lässt sich damit für die gesamte Produktion ein Überblick über den Zustand jeder einzelnen Komponente gewinnen, sollte es einmal Unregelmäßigkeiten im Produktionsprozess geben. Der Produkt-Manager beschreibt, wie Betreiber von Chemieanlagen mit herstellerübergreifenden Standards ihren Verwaltungsaufwand senken. Den Auftakt des Chem-Talks macht Wasserstoff als Energielieferant der Zukunft.

Herr Kaspar, Wasserstoff gilt derzeit als Hoffnungsträger zur Dekarbonisierung der Chemieindustrie. Aber das Handling ist nicht trivial, weil Wasserstoff sehr flüchtig ist. Welche Erfahrungen hat Vega hier gesammelt?

In der Chemieindustrie ist Wasserstoff schon seit Jahrzehnten ein bekannter Stoff. Seitdem haben wir für vielfältige Anwendungsmöglichkeiten entsprechende Erfahrungen gesammelt. Beispielsweise nutzen wir bei Vega in der Druckmesstechnik speziell beschichtete Membrane, die eine Diffusion der kleinen Wasserstoff-Moleküle durch die dünne Druckmembran verhindern. Weil das Gas in der Regel gasförmig verarbeitet wird, kann es als solches nur mit einem Druckmessumformer gemessen werden. Bis 100 bar bieten sich keramische Messzellen an. Darüber hinaus arbeiten wir mit trockenen DMS-Messzellen mit entsprechender Beschichtung. Das geht hoch über die Druckstufen 300 bis hin zu 1.000 bar.

Aktuell wächst der Bereich der Wasserstoff-Erzeugung sehr stark. Das gilt besonders für klimaneutral erzeugten Wasserstoff mittels erneuerbarer Energien in Elektrolyseuren. Auch da kommt unsere Messtechnik zum Einsatz. Im Elektrolyseur messen wir unter anderem die Füllstände des Elektrolyts auf der Sauerstoff- und Wasserstoffseite und setzen freistrahlendes oder geführtes Radar ein. Zudem sichern entsprechende Grenzstände den Prozess ab. Wir freuen uns darüber, dass das Thema Wasserstoff Fahrt aufnimmt, sodass wir unsere Erfahrungen auch an neuen Stellen einbringen können, insbesondere wenn es zur Dekarbonisierung beiträgt.

Digitalisierung soll helfen, die Prozesse in der chemischen Produktion effizienter zu gestalten. Welche Rolle spielt das digitale Typenschild?

Das Zauberwort heißt digitale Dokumentation. Vega ist deshalb dem „Digital Data Chain Consortium“ beigetreten, das die Technologie des digitalen Typenschilds industrieweit standardisieren möchte. Seit langem tragen unsere Geräte bereits einen Barcode auf dem Typschild. Diesen kann man mit der Vega-Tools-App abscannen, um dann zur Dokumentation des Gerätes zu gelangen. In Zusammenarbeit mit dem Konsortium wird der Inhalt angepasst. Der Barcode wird in einen QR-Code umgewandelt. Dieser kann über die normale Kamerafunktion eines Smartphones abgescannt werden. So gut wie alle Beteiligten der Prozessindustrie sind hier mit an Bord. Das heißt, man kann künftig herstellerübergreifend an jeglichem Aktor, Feld- oder Auswertegerät mit einer Kamera-App das Typenschild auslesen und über einen Link zur Dokumentation des jeweiligen Gerätes gelangen. Im Moment landet der Interessent noch auf der Webseite des Herstellers. Zukünftig wird es eine standardisierte Cloud-Lösung geben, in der jeder Hersteller seine Dokumentation ablegt. Diese ist dann über das Typenschild zentral abrufbar.

Für den Betrieb einer chemischen Anlage bedeutet das eine enorme Erleichterung. Falls in einer Produktionsanlage ein Problem auftritt, muss man nicht mehr alte Ordner wälzen und nach der Betriebsanleitung und den Sicherheitshinweisen zu Geräten suchen. Über ein mobiles Device erhält man einfach Informationen über das Gerät, eine Fehleranalyse sowie die Möglichkeit der Störungsbeseitigung. Den Anfang hat unser Radar-Füllstandsensor „Vegapuls 6X“ gemacht. Hier wurde das Typenschild bereits auf diesen neuen Standard umgestellt. Auch alle anderen Messgeräte für die Chemieindustrie sollen bis zum Jahresende umgestellt werden. Dann genügen diese Typenschilder der Norm „IEC 61406“, die durch das Konsortium auch vorangetrieben wurde. Dieser herstellerübergreifende QR-Code kann auch als eindeutige Identifikation des Assets mit Link zur Dokumentation verwendet werden. Die Betreiber sparen sich damit sehr viel Dokumentationsaufwand, ohne Schränke voller Aktenordner, in denen regelmäßig Blätter ausgetauscht werden müssen - ein enormer Zeitgewinn.

Das hilft natürlich den Anlagenbetreibern bei der digitalen Dokumentation. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der neue Standard „VDI 2770“, der sich um die Mindestanforderungen an digitale Herstellerinformationen dreht?

Für Anlagenbetreiber ist es aktuell sehr schwierig, die Gesamtdokumentation einer großen Produktionsanlage zu erstellen. Jeder Komponentenlieferant übermittelte bislang seine Dokumentation in individueller Art und Weise. Der Betreiber muss aus der Vielzahl unterschiedlicher Informationen eine Gesamtdokumentation verfassen. Das ist sehr aufwendig und beansprucht viele Ressourcen. Hier soll der Standard „VDI 2770“ zur Standardisierung der Betriebsanleitungen Abhilfe schaffen. Die Betriebsanleitung wird hierzu in einzelne Kapitel mit vorgeschriebenem Inhalt unterteilt, wie beispielsweise für Montage oder den elektrischen Anschluss. Für seine verbauten Teile liefert jeder Komponentenhersteller standardisierte und serialisierte PDF-Dokumente. Diese werden um eine maschinenlesbare XML-Datei ergänzt. Es bleibt nur noch die Aufgabe, alle Teile zusammenzufassen, um die fertige Dokumentation der ganzen Anlage zu erstellen.

Das „Digital Data Chain Consortium“ steht auch hinter diesem Standard. Denn die Serialisierung wird wiederum über das digitale Typenschild auf den einzelnen Geräten ermöglicht. Alle Beteiligten setzen große Anstrengungen daran, den Standard zügig umzusetzen und die geforderten Informationen automatisiert bereitzustellen. Wir sind guter Dinge, dass wir das demnächst für die komplette Pro-Linie auf Knopfdruck anbieten können.

Wie spielt das Thema Ethernet APL dort mit rein?

Ethernet APL ist ein Riesenthema in der Prozessindustrie. Das ist ein komplett neuer digitaler Standard zur Übertragung von Daten. Nach wie vor werden über 90 Prozent der Feldgeräte mit 4 bis 20 mA Analog-Anbindung verkauft. Die Kommunikationsstandards Profibus und Foundation Fieldbus sind sehr komplex, sowohl in der Einrichtung als auch im Betrieb. Zudem lässt sich Digitalisierung nicht mit einem vier bis 20 Milliampere Signal betreiben, denn das Gerät kann nur einen Messwert übertragen. Wir wissen aber nicht, wie es dem Gerät geht. Es werden keine Zusatzinformationen ausgeliefert, die im Gerät haufenweise vorhanden sind. Deshalb arbeiten alle Hersteller daran, dass sich dieser neue Standard durchsetzt. Denn mit Ethernet APL kann man tatsächlich mit einer Zweitdraht-Schnittstelle Ethernet bis in die Feldebene bringen.

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