Wasserstoff aus Sicht der Krisenkommunikation

Industrie muss sich auf Risiken und kommunikative Herausforderungen im Umgang mit Wasserstoff vorbereiten

Wasserstoffpipeline

Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft und könnte zum „Klimaretter“ werden. Neben dieser positiven Perspektive birgt das Gas aber auch nicht zu unterschätzende Gefahren bei der Herstellung, der Lagerung und dem Transport. Bei einem Unfall mit flüssigem Wasserstoff können sich Brandteppiche bilden, austretender Wasserstoff kann sich unkontrolliert entzünden. Vor den möglichen Risiken des Brennstoffs warnt unter anderem die Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) in ihrem Risk Bulletin 2021. „Wir sehen das Aufkommen von Projekten im Giga-Maßstab in vielen Ländern, mit verschiedenen neuen Akteuren und etablierten Akteuren, die sich vergrößern“, heißt es seitens der Allianz-Tochter. „Und das Risiko-Management muss damit Schritt halten.“

Dies betrifft nicht nur die technologischen Probleme im Umgang mit Wasserstoff und die unter Umständen höheren Sicherheitsstandards. Hinzu kommen auch neue Herausforderungen für die Krisenkommunikation von Wasserstoff-Herstellern, -Nutzern und -Pipeline-Betreibern. Welche unerwarteten Komplikationen denkbar und möglich sind, zeigt beispielsweise eine Studie des TÜV Süd aus dem Jahr 2016. Im Rahmen einer Simulation wurde ein durch einen Gebäudebrand verursachter Stromausfall in einer Elektrolyseanlage und dessen Folgen untersucht. In Norwegen kam es beispielsweise 2019 zu einer Explosion an einer Wasserstofftankstelle. Natürlich ist der Umgang mit Wasserstoff oder anderen Brennstoffen für die chemische Industrie oder die Energiewirtschaft nichts Neues. Die Notfallorganisationen der Unternehmen oder Industrieparkbetreiber sind in der Regel gut auf mögliche Ereignisse vorbereitet. Dennoch ergeben sich durch den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft zusätzliche Risikofaktoren, sowohl im Bereich der Sicherheitstechnik als auch in der Krisenkommunikation.

Auch kleinere Standorte müssen für Ernstfall gerüstet sein

Wasserstoff kann ein großes Geschäft werden. Nach einer Analyse von McKinsey laufen weltweit mehr als 200 Projekte mit einem Investitionsvolumen von insgesamt 300 Milliarden Dollar. Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Projekte. Mehr Wasserstoffprojekte bedeuten aber auch, dass sich mehr Unternehmen an mehr Standorten mit neuen Fragen der Krisenfestigkeit auseinandersetzen müssen. Sie müssen prüfen, ob es vor Ort eine funktionierende Notfallorganisation gibt und ob sie kommunikativ auf eine Krisensituation vorbereitet sind. Besonders schwierig wird dies an Standorten, an denen nur wenige Mitarbeiter beschäftigt sind. Gerade diese sind zum Beispiel bei einem Brand oder einer Explosion auf allen Ebenen gefordert. Während die Gefahrenabwehr noch läuft, wollen Anwohner bereits Informationen. Die Medien wollen Interviews. Eine „Fernbetreuung“ aus der fernen Konzernzentrale, das haben unzählige Beispiele gezeigt, funktioniert im Ernstfall meist nicht oder nur unzureichend. Deshalb müssen Unternehmen in „Friedenszeiten“ ihr Notfallmanagement in allen relevanten Betriebsbereichen organisieren.

Dezentrale Betriebsbereiche müssen für Öffentlichkeit auskunftsfähig sein

Wasserstoff wird in Zukunft nicht nur in geschlossenen, von geschultem Personal betriebenen Anlagen gehandhabt werden. Viele neue Anwendungen werden bald dezentral außerhalb eines großen Betriebsgeländes betrieben werden. Dies können Elektrolyseanlagen in der Nähe von Windparks oder weit verteilte Versorgungs- und Betankungsnetze für Wasserstoff sein. Dies führt zu einer unmittelbaren Nähe zu Anwohnern und so genannten neuralgischen Punkten wie Krankenhäusern und Pflegeheimen, Schulen und Kindergärten. Je nach Größe des Standortes kann dies Auswirkungen auf die laufende Kommunikation mit der Öffentlichkeit, insbesondere aber im Krisenfall mit der Nachbarschaft, den Medien oder der Kommunalpolitik haben. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus der gemeinsamen Kommunikation mit Partnerunternehmen oder externen Dienstleistern. Liegt die Anlage in einem Industriepark, ist zu klären, ob die Kommunikation ganz oder teilweise vom Betreiber übernommen wird.

Störfallbetriebe haben erweiterte Informationspflichten zu erfüllen

Grundsätzlich sollte im Falle eines Brandes, einer Explosion oder einer Leckage auch bei kleineren, dezentralen Niederlassungen oder Anlagen neben dem operativen Notfallmanagement eine proaktive Krisenkommunikation sichergestellt werden, um die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in das betroffene Unternehmen zu erhalten. Darüber hinaus ist eine geordnete Krisenkommunikation gegenüber der Nachbarschaft für bestimmte Standorte sogar ein Muss. Große Anlagen fallen unter den Anwendungsbereich der Störfall-Verordnung (Störfall-VO) mit entsprechend verschärften Sicherheitsanforderungen und umfangreichen Informationspflichten. Ausschlaggebend dafür sind die Mengen an gefährlichen Stoffen innerhalb eines Betriebsbereiches. Elektrolyseanlagen können z. B. zusammen mit Speichern, Lager- und Abfüllanlagen einen solchen Betriebsbereich darstellen, wenn die entsprechende Mengenschwelle von 5.000 Kilogramm Wasserstoff erreicht wird. Dies ist die sogenannte „untere Klasse“ im Sinne der Störfall-Verordnung. Die in der Verordnung definierten Störfallbetriebe haben dann verbindliche Informationspflichten gegenüber der Öffentlichkeit. Ab 50.000 Kilogramm Wasserstoff entsteht ein Betriebsbereich der „oberen Klasse“ nach Störfall-VO mit noch weitergehenden Handlungs- und Informationsnotwendigkeiten. So sind dann beispielsweise ein zusätzlicher Sicherheitsbericht zu erstellen und angemessene Sicherheitsabstände zu ermitteln, aber auch Nachbarschaftsbroschüren zu verteilen und auf der Homepage des Unternehmens zu veröffentlichen. Im Ereignisfall ist unter anderem eine rasche und umfassende Information der Öffentlichkeit, zum Beispiel durch Pressemitteilungen, sicherzustellen. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob ein Standort unter die Störfall-Verordnung fällt und es sind entsprechende Maßnahmen für den Notfall sowie für die vorausschauende Kommunikation abzuleiten.

Leckage an Fernleitung als besondere Herausforderung

Wie schwierig die Krisenkommunikation im konkreten Ereignisfall sein kann, zeigt das Beispiel einer Leckage an einer Pipeline. Lecks bleiben oft unentdeckt, da Wasserstoff farb- und geruchlos ist. Ursachen können Risse in Rohren sein, insbesondere bei Wasserstoff besteht die Gefahr der Versprödung. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass Versorgungsleitungen, wie zum Beispiel LNG-Pipelines in Norddeutschland, absichtlich angebohrt wurden. Wenn die Leckage womöglich 100 Kilometer vom Werksgelände oder der Unternehmenszentrale entfernt ist, wird nicht nur die Schadensbehebung, sondern vor allem die Krisenkommunikation zu einer echten Herausforderung: Der einberufene Notfallstab ist weit weg. Kein Vertreter des Unternehmens ist schnell vor Ort und es gibt keine Informationen über die Situation der Bürger rund um den Unfallort.  Die Industrie, die Wasserstoff transportiert oder Pipelines betreibt, muss solche Szenarien durchdenken und für den Ernstfall planen.

Notfallorganisation und Krisenkommunikation müssen Wasserstoff-Notfall üben

Noch hat es in Deutschland im Zuge des beginnenden Wasserstoff-Booms kein Ereignis mit Auswirkungen auf die Nachbarschaft gegeben. Das muss und wird auch nicht so bleiben. „Die Frage ist nicht, ob etwas rund um Wasserstoff passiert, sondern wann. Und wir tun alles dafür, dass es nicht bei uns sein wird“, betonte der Deutschland-Chef eines großen Gaseherstellers in einem Gespräch. Das heißt, auch die Krisenkommunikation muss für den Ernstfall organisiert sein, von vorgefertigten Pressemitteilungen und Verteilern für Medien und „neuralgische“ Punkte bis hin zu Interviewtrainings für Mitglieder des Krisenstabs und der Durchführung von Pressekonferenzen. Und das scheint für viele Standorte oder Unternehmen, die sich mit Wasserstoff beschäftigen, derzeit Neuland zu sein. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Und was ist Wasserstoff nun, Klimaretter oder Risikofaktor? Beides. Für die Risiken und kommunikativen Herausforderungen des Wasserstoffs muss die Branche gewappnet sein. Denn in der Krisenkommunikation gilt: Was nicht vorbereitet ist, findet im Ernstfall nicht statt.

Autor:
Erik Walner von Krikom.pro
Berater + Trainer für Krisenkommunikation

 

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